Polyneuropathie

Einige Millionen Deutsche dürften inzwischen an Polyneuropathie (PNP) leiden. Und etwa jeder zweite bis dritte Diabetiker (Zuckerkranker) gehört zu den von diesem Leiden betroffenen Menschen.

Die Polyneuropathie (=Viel Nerven Krankheit) bezeichnet allerdings als Oberbegriff verschiedene Erkrankungen des peripheren (=äußeren, z.B. Arme, Beine, Füße, Hände betreffend) Nerven-Systems. Es betrifft Nervenstränge und Nervenfasern zum Wahrnehmen und Weiterleiten von Empfindungen und solche, die über das Gehirn an Muskeln die nötigen Impulse vermitteln, damit Muskelbewegungen funktionieren.

Wir unterscheiden zwischen vererbten und erworbenen (=primären und sekundären) Polyneuropathien. Eine idiopathische PNP bedeutet, dass deren Ursache nicht zu erkennen ist. Wenn bei einer festgestellten PNP schon die betroffene Nervenart bekannt ist, bezeichnet der Arzt die entsprechende PNP auch danach. Je nachdem, ob motorische (=Bewegung betreffend), sensible (=Gefühl, Empfindung betreffend) oder vegetative (nicht direkt dem Willen unterworfene) Nerven-Bahnen beeinträchtigt sind.

Weiterhin unterscheiden wir Polyneuropathien nach ihrer Ursache: Es gibt eine Alkohol bedingte, autoimmunologisch (Antikörper) bedingte, eine diabetische, als Folge von Diabetes auftretende, durch Infektionskrankheiten (z. B. Borreliose, Diphterie oder HIV) entstandene oder toxische, durch Alkohol, Gifte(z.B. Blei, Cadmium oder Thallium) oder Medikamente ausgelöste Polyneuropathie.

Es gibt noch einige seltenere Ursachen für eine PNP, wie Amyloidose (Gewebsentartung), diverse Krebserkrankungen, Nierenschäden (nephrogene PNP), Vasculitis (entzündliche Gefäßerkrankung), oder Vitaminmangel (B12, E). Die deutlich viel öfter diagnostizierte (festgestellte) PNP ist übrigens die erworbene.

Die wichtigsten Symptome (Krankheitszeichen) einer erworbenen PNP, deren bekannteste, neben der Alkohol bedingten, wohl die distale (=körperferne, z. B. Hände, Füße), sensible diabetische Polyneuropathie sein dürfte, sind:
Sensibilitätsstörungen, wie Kribbeln in Beinen und Füßen, meist bei den Zehen beginnend (ähnlich wie darüber laufende Ameisen), ein Taubheitsgefühl in dem betroffenen Bereich, manchmal auch nächtliche Wadenkrämpfe. Oft auch brennende, stechende Schmerzen (so genannter brennender Fuß). Bei den Beinmuskeln lassen sich manchmal Schwäche, Schwund oder Zuckungen feststellen. Teilweise verlieren die Patienten ihr normales Schmerzempfinden oder/und klagen manchmal auch über Unsicherheiten beim Gehen und über "Schwitzstörungen".
Die schleichend beginnende, meist langsam fortschreitende Krankheit verursacht am Anfang kaum Beschwerden, kann aber schlimmstenfalls zu einem Leben im Rollstuhl und - bei entsprechenden Begleiterkrankungen, sogar zum Tode führen.

Wie aber erkenne ich als Laie, ob ich tatsächlich an einer Polyneuropathie erkrankt bin?

Die ersten auftretenden Anzeichen, meist leichtes "Ameisen-Gekribbel" an Beinen, Füßen oder Händen, teilweise auch nur kurzfristig auftretend, ignorieren viele Leute: "Ist weiter nichts, vergeht sicher bald wieder!" Besser wäre allerdings, schon bei den ersten leichten Beschwerden zu einem Therapeuten zu gehen. Denn die Vielfalt der PNP-Arten und deren diverse Symptome erschweren oft eine rasche Diagnose, vor allem aber auch das Herausfinden der Ursache für die Polyneuropathie.

Dies ist nämlich nicht selten eine schon länger bestehende, bekannte Grunderkrankung. Eine umfangreiche Anamnese (Erfassen der Krankheitsvorgeschichte) steht am Beginn einer jeden sinnvollen Diagnose-Erstellung. Es folgt eine körperliche Untersuchung sowie Messen von Blutdruck und Puls. Danach spielen die aus der Anamnese gewonnenen Fakten eine wichtige Rolle. Welche chronischen Erkrankungen, bei älteren Patienten oft mehrere, wie Diabetes mellitus, als Zuckerkrankheit allgemein bekannt, oder Hypertonie (Bluthochdruck) liegen vor?

Gibt es weitere Stoffwechselstörungen, wie etwa erhöhte Blutfett-Werte? Sind Blase, Herz, Leber, Lunge, Magen und Nieren in Ordnung. Spielt eventuell Alkohol eine Rolle? Gibt es aktuell oder gab es vor kurzer Zeit irgendwelche Infektions-Krankheiten, die eine Behandlung erfordern? Welche Medikamente nimmt der Patient regelmäßig und wie lange schon ein? Welche schon bekannten chronischen Erkrankungen, wie Herzrhythmusstörungen (z.B. Vorhofflimmern) oder Bluthochdruck sind eventuell länger nicht in ihrem Verlauf überprüft worden? Werden verordnete Medikamente, wie z.B. Marcumar (ein Mittel zur Blutverdünnung) zuverlässig eingenommen? Um all dies abzuklären, ist auch eine umfangreiche Labordiagnostik nötig. Dazu gehören, neben einem großen Blutbild und Leberwerten auch Lipidwerte (Blutfette), Nierenwerte (wie z.B. Kreatinin) und Glukosewerte (Blutzucker), da speziell auch HbA1c, ein aussagekräftiger "Sammelwert" für die Diabetes mellitus-Langzeiteinschätzung. Fehlen sollten auch nicht Ruhe- und Belastungs-EKG (Aufzeichnung der Herzströme), Röntgen und Ultraschall sowie bei einem Neurologen Messungen der Nervenleitgeschwindigkeit.

All dieser Aufwand im Rahmen einer Differentialdiagnose (= Ausklammern ähnlicher Erkrankungen) lohnt sich vor allem dann, wenn am Ende ganz klar Ursache und Umfang der Erkrankung feststehen.

Da die Diabetische Polyneuropathie (DPNP), wie eingangs ja schon angedeutet, sehr verbreitet ist, beleuchten wir diese Krankheit gemeinsam noch etwas genauer.

Weil Zuckerkrankheit die Ursache ist und bei der DPNP das somatische (=willkürliche) und /oder das autonome (=vegetative, also unwillkürliche) Nervensystem betroffen sind, unterscheiden wir zwei Formen: Die autonome (= Organe betreffend) und die sensomotorische, distal-symmetrische (=meist Füße, Hände betreffend) diabetische Polyneuropathie.

Die autonome DPNP kann auch im Gefolge einer schon bestehenden senso-motorischen PNP auftreten und wegen der Organbeteiligung (z.B. Herz/Niere) zu drastisch eingeschränkter Lebensqualität führen. Bei einem, allerdings sehr seltenen Multiorganbefall (mehrere Organe)handelt es sich dann sogar um eine lebensbedrohliche Erkrankung. Das Diabetische Fußsyndrom stellt da ein viel häufigeres Risiko dar, das schlimmstenfalls zur Amputation führen kann. Dann nämlich, wenn eine Polyneuropathie mit Schmerzempfindungsstörung gemeinsam mit Durchblutungsstörungen auftritt und zu nicht heilenden Geschwüren führt. Alle Überlegungen zu Diagnose und Therapie gehen deshalb in Richtung Diabetes mellitus. Konsequente Kontrolle der Blutzucker-Werte und bestmögliche Diabetes-Einstellung, verbunden mit regelmäßiger Blutdruck- und Blutfettwertekontrolle sind dabei enorm wichtig.

Wie sieht es bei Polyneuropathie aus mit Vorbeugung und Therapie?

Je nach Ausmaß der Erkrankung ist, neben viel Bewegung und richtiger, eventuell diätetischer Ernährung, ein absolutes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wichtig. Im Vordergrund steht nämlich die Behandlung von Grunderkrankungen.

Außerdem bedeutet es: Alkoholgenuss und Rauchen einschränken oder ganz vermeiden, verordnete Medikamente zuverlässig einnehmen, Infektionskrankheiten rasch ausheilen (Antibiotika).

Für eine Schmerzbehandlung bei PNP sind Antidepressiva (= diverse Mittel gegen Depressionen z.B. Amitriptylin) oder Mittel gegen Krampfanfälle (wie z.B. Carbamazepin) meist gut geeignet. Eine Vitamin B1-Verabreichung wirkt sich günstig auf Nerven, die schon geschädigt sind, aus und hilft auch gegen Schmerzen. Vor allen Medikament-Einnahmen sollte immer ein Gespräch mit dem Arzt stehen. Nur so lassen sich mögliche Neben- und Wechselwirkungen vermeiden, werden Kontraindikationen (= Gründe gegen Einsatz eines Medikaments) deutlich. Weiter können Bewegungs- und Wechselbäder, Hochtontherapie für eine Muskelbehandlung (hohe Frequenzen), Behandlung mit Gleichstrom, Krankengymnastik und Wärmeanwendungen Linderung bei PNP- Beschwerden bringen.

Ein interessanter Behandlungsansatz außerhalb der Schulmedizin kommt aus der traditionellen chinesischen Medizin. Dieses ganzheitliche, individuelle Konzept basiert auf fünf Behandlungssäulen: Akkupunktur, chinesische Arznei, spezielle Massagen, Qi Gong und Ernährungsrichtlinien. Die Arznei, aus speziellen Kräutern und Mineralien hergestellt, ergänzt sich gut mit der Nadeltechnik Akkupunktur und wirkt so, kombiniert mit Massage, gegen Schmerz und Verspannung. Qi Gong stärkt Körper, Geist und Seele.

Umstritten ist ein Vorschlag aus der Orthomolekular-Medizin, der den Einsatz von bestimmten Mineral- und Vitalstoffen als PNP-Behandlung empfiehlt.

Zusammenfassend ergibt sich, dass die Polyneuropahtie ein recht vielseitiges Krankheitsbild darstellt, das entsprechend vielseitige Diagnostik verlangt. Denn entscheidend ist, rechtzeitig die Ursache für die PNP zu finden, um diese gezielt zu behandeln. Dann sind die Aussichten auf Besserung nämlich immer gegeben.

Wenn sich Patienten bei ersten Krankheitsanzeichen an ihren Arzt wenden und mit dem Mediziner eine "Interessengemeinschaft" bilden, lassen sich auch Polyneuropathien heute rasch und gut behandeln.